Ist Venture Clienting die Antwort und wenn ja, wieso, wie und auf welche Frage eigentlich?
Strategist’s Notes #003
Die Zyniker in meiner Echokammer behaupten, Venture Clienting sei nach Crowdsourcing, Hubs und Acceleratoren einfach das neueste Stück, das im Innovationstheater aufgeführt würde. Ähnlich abwertend, aber inhaltlich ganz anders, argumentieren die Schlaumeier. Für sie ist Venture Clienting nichts Neues. Das haben sie schon immer gemacht. Es hieß damals einfach noch nicht so, als Steve Jobs mit dem early-stage Startup Adobe das Desktop-Publishing revolutionierte und damit den Grundstein für Apples jahrelange Vormachtstellung im Design- und Kreativbereich legte.
Nicht zuletzt aufgrund solcher Heldengeschichten ist eine dritte Gruppe, nennen wir sie Optimisten, überzeugt, dass Venture Clienting weder Hype noch Allgemeinplatz ist, sondern nichts Geringeres als die gesuchte Antwort nach der Zukunft des Corporate Venturings. Es gibt gute Gründe, weshalb sie recht haben könnten. Doch bevor wir dazu kommen, ein bisschen Kontext.
Überbau und Hintergrund
Ich glaube nicht, dass die Leute in Palo Alto intelligenter sind als die in Potsdam, Porto oder Padua. Aber ich weiß, dass große Innovationen eigentlich nie innerhalb eines einzelnen Unternehmens entstehen, sondern immer in sogenannten Innovation Clustern wie eben dem Silicon Valley. Hier kommt alles zusammen, was es braucht: Gründerinnen mit Ideen, Investoren mit Geld, Universitäten mit Talenten, Unternehmen als Kunden, Beraterinnen und Anwälte mit einschlägiger Erfahrung und vor allem der alles verbindende Open-Innovation-Spirit. In einem Innovation Cluster können etablierte Unternehmen grundsätzlich drei Rollen einnehmen:
Sie können als Investor auftreten und über Corporate Venture Capital (CVC) in erfolgversprechende und passende Startups investieren.
Sie können im Rahmen des Corporate Venture Buildings (CVB) eigene Startups aufbauen, die idealerweise von Anfang an über einen so genannten „unfair advantage“ verfügen.
Oder sie können Venture Client bzw. Kunde eines Startups werden und dessen innovative Lösung in die eigenen Produkte und Prozesse integrieren und so einen Wettbewerbsvorteil erzielen.
Venture Clienting bedeutet also, dass ein Unternehmen (oder eine Person oder der Staat) ein Produkt von einem Startup kauft und verwendet und die damit einhergehenden Risiken handhabt. Nicht mehr aber auch nicht weniger.
Ziel ist, das nicht nur einmal zu machen, sondern für verschiedene Probleme innovative Lösungen von Startups zu integrieren und diesen Prozess effektiv, effizient und erweiterbar zu gestalten. Dies alles wird unter dem Begriff Venture Client Model zusammengefasst und kommt oft mit dem Aufbau einer Venture Clienting Abteilung einher, die Einkaufsprozesse situativ vereinfacht und zwischen den Startups und den Fachabteilungen des Unternehmens vermittelt. Otto Dock 6, Open Bosch oder die BMW Startup Garage sind gute Beispiele solcher Startup-Departments. Das beantwortet aber noch nicht die Frage, wieso Venture Clienting in den letzten Jahren so populär wurde.
Venture Clienting trifft den Nerv der Zeit
Die derzeitige (Wirtschafts-)Lage ist geprägt durch ubiquitäre Unsicherheit auf der einen und klamme Kassen auf der anderen Seite. In einer solchen Konstellation versprechen weder Corporate Venture Building noch strategisches Corporate Venture Capital Erfolg. Beide Konzepte sind zu kostspielig und passen mit ihrem langfristigen Zeithorizont gerade nicht in die aktuelle Zeit.
Zudem erfüllten weder CVB noch CVC in den letzten Jahren die in sie gesteckten Erwartungen. Es zeigte sich, dass man Unternehmer eben doch nicht einstellen kann. Dem Begriff Intrapreneur haftete schon immer ein Hauch von Widerspruch an. Und Gründer, die so gut sind, dass sie die Wahl haben, nehmen das Geld lieber von klassischen Venture Capital Firmen als von strategischen Investoren.
Nichts desto trotz führt für etablierte Unternehmen angesichts des rasanten Wandels kein Weg an Innovation und der Zusammenarbeit mit Startups vorbei. Gemäß dem Corporate Innovation Report (2023) von Hy planen denn auch über ein Drittel der befragten Unternehmen in Zukunft vermehrt Kooperationen und Partnerschaften mit Startups einzugehen. Das macht Sinn, liegt doch darin ein immer grösser werdendes Potenzial: In den OECD-Ländern wurden 2022 rund 130 Milliarden Euro in F&E investiert. Das Investitionsvolumen in Startups betrug im gleichen Zeitraum (aber nur in Europa und Nordamerika) 380 Milliarden Euro - drei Mal mehr.
Klar, Geld schießt noch keine Tore, aber heute kriegt ein gutes Team mit einer erfolgsversprechenden Geschäftsidee mehr Geld von Wagniskapitalgebern, als viele etablierte Unternehmen überhaupt für Innovation ausgeben können. Es ist naiv zu glauben, dass etablierte Firmen disruptive Technologien wie z.B. ChatGPT inhouse entwickeln können. Die großen Tech-Firmen haben im letzten Jahrzehnt Billiarden in die Entwicklung von KI gesteckt, gewonnen hat das Rennen aber ein Startup: OpenAI, dessen anschließende Zusammenarbeit mit Microsoft übrigens ein gutes Beispiel für Venture Clienting (oder Venture Partnering) darstellt.
Will man als etabliertes Unternehmen nicht disruptiert werden, muss man mit den Disruptoren gemeinsame Sache und den eigenen Innovationsfunnel durchlässig machen. Darum geht es beim Venture Clienting - und zwar für weniger Geld und schneller als bei CVB und CVC. Bleibt die Frage nach dem Wie.
Ansätze und Ausblick
Welches der besten Weg ist, Venture Clienting aufzusetzen, hängt vor allem von zwei Faktoren ab: der Größe des Unternehmens und der Art von Innovation, um die es geht. Es macht einen Unterschied, ob ein Konzern mit Venture Clienting Produkt- und Geschäftsmodell-Innovationen in unterschiedlichen Bereichen verfolgt oder ob ein KMU „nur“ eine innovative HR-Lösung von einem Startup einkauft, um z. B. seine Personalrekrutierung effizienter zu gestalten. Entsprechend sollte auch Venture Clienting anders gedacht und angegangen werden.
Venture Clienting as a Product
Unternehmen, die Venture Clienting einfach mal ausprobieren möchten oder denen es in erster Linie darum geht, Prozesse in unterstützenden Funktionen wie Personal oder Buchhaltung zu optimieren, können durch Startup-Sourcing-Anbieter zu ihrem konkreten Bedarf passende Startups finden. Ich gehe davon aus, dass die bekannten Startup-Investment-Plattformen ebenfalls auf diesen Zug aufspringen und ein Venture Clienting Produkt anbieten (werden). Durch ausgefeilte Datenanalysen und künstliche Intelligenz wird das Matchmaking, um das es hier geht, fortlaufend verbessert.
Vernute Clienting as a Department
Für größere Unternehmen, die das ganze Potenzial von Venture Clienting heben wollen, macht es Sinn, dafür eine eigene Abteilung aufzubauen. Dieses Startup Department fungiert als Brückenbauer zwischen Startups auf der einen und den verschiedenen Fachabteilungen oder Konzerngesellschaften auf der anderen Seite. Die Abteilung verantwortet den gesamten Venture Clienting Prozess von der Identifikation der richtigen Probleme und der Auswahl der geeigneten Startups über den eigentlichen Einkauf bis hin zum Pilotprojekt, dem späteren Ausrollen, dem Controlling und der Kommunikation.
Venture Clienting as a Service
Für Unternehmen, die keine eigene Venture Clienting-Unit aufbauen, aber dennoch zusammen mit Startups ihre Produkte und Geschäftsmodelle innovieren wollen, entstehen spezialisierte Dienstleister, die diese Aufgabe individualisiert, partnerschaftlich und von Anfang bis Ende übernehmen. Ebenfalls denkbar ist, dass Unternehmen Venture Clienting Joint-Ventures gründen, um die Aufgabe gemeinsam anzugehen und die Kosten zu teilen.
Ungeachtet der Frage, welchen der beschriebenen Ansätze man wählt, führt angesichts des stetig zunehmenden Innovationsdrucks für Unternehmen heute kein Weg an Partnerschaften mit Startups vorbei. Auf der anderen Seite ist das Bottleneck bei erfolgversprechenden (B2B-)Startups weniger das Geld oder die Mitarbeiter, als vielmehr renommierte Kunden, um das noch junge Produkt gemeinsam weiterzuentwickeln. Richtig gemacht ist Venture Clienting mehr als ein Instrument im Corporate Innovation Werkzeugkasten. Venture Clienting ist eine ökonomische Symbiose und eine sehr gute Antwort auf die Frage nach der Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft.
Liebe den Artikel! Coole Perspektive.