Letzte Woche fand die Abschiedsvorlesung von Professor Liebl an der Universität der Künste hier in Berlin statt. Er sprach in seiner unverwechselbaren Art über Steakholder Management. Nein, das ist kein Tippfehler. Es ging darum, was die Strategieentwicklung von den besten Restaurants der Welt lernen kann. Liebl nennt es den Culinary Turn in der Strategie.
Genau durch solche Gedankensprünge hat Professor Liebl mein Verständnis von Strategie tief geprägt. Deshalb zögerte ich auch nicht, als mich die Herren Fitzner, Blümelhuber und Düllo fragten, ob ich einen Beitrag für die bei solchen Anlässen übliche Festschrift schreiben würde. Das Buch heisst „Er rockt nicht, er rollt.“, ist wirklich gut geworden und ab sofort im Buchhandel erhältlich.
Mein Beitrag ist ein Essay mit dem Titel „Strategie als Innovation“. Ich erlaube mir, hier eine verkürzte Version zu veröffentlichen. Nicht, um es mir leicht zu machen, sondern um das Buch zu bewerben. Die meisten Beiträge darin sind fundierter als meiner und/oder unterhaltsamer.

Strategie als Innovation
IDEO, die Mutter aller Design Thinking Innovationsagenturen, bietet ihren Klienten unter dem Schlagwort “Strategic Futures” inzwischen auch Strategieberatung an. Handkehrum kaufen Unternehmensberatungen Innovationsagenturen oder steigen gerade ins Venture Clienting Geschäft ein. Diese zunehmende Überlappung von Strategie und Innovation findet sich nicht nur in der Praxis, sondern auch in Forschung und Lehre.
Die von Brandenburger (2019) beschriebenen Ansätze, um mehr Kreativität in die Strategieentwicklung zu bringen, sind alles Methoden, die im Innovationsmanagement schon längst gelehrt und angewendet werden (Contrast, Combination, Constraint und Context) - also alter Wein in neuen strategischen Schläuchen. Dahingegen weichen genau diese Kreativitätstechniken in Vorlesungen und Büchern über Innovation immer mehr strategischen Themen wie Corporate Venturing oder Business Model Innovation. Der auch von mir (2019) propagierte Begriff Strategie Design avancierte in den letzten Jahren zu einem Etikett dieser Konvergenz von Strategie und Innovation bzw. Design Thinking.
Die immer stärkere Vermischung der beiden Disziplinen überrascht - wenn überhaupt - lediglich auf den ersten Blick, geht es doch bei beiden im Kern um Kreativität, um die Generierung neuer Ideen und Konzepte. Eine weitere Gemeinsamkeit liegt darin, dass sich sowohl das strategische als auch das Innovations-Management (im Gegensatz z.B. zur Buchhaltung) weniger damit aufhalten, was ist, sondern vielmehr ausloten, was sein könnte oder sollte. Es geht in beiden Fällen um die Zukunft und darum, sie im Sinne des Unternehmens und seiner Ziele zu gestalten.
Das Zusammenfließen von Strategie und Innovation haben Liebl und Düllo bereits vor 10 Jahren (2015) treffend als Entrepreneurial Turn im strategischen Management beschrieben und seinen Anfang auf die Zeit der New Economy datiert. Angesichts der damals einsetzenden Digitalisierung ging es immer weniger darum, die eigene Positionierung innerhalb bestehender Spielregeln zu optimieren, sondern ganz im Schumpeterschen (1912) Sinne um die Disruption dieser Konventionen, um kreative Zerstörung bzw. die Schaffung neuer Märkte durch Innovation. (Und schon wären wir wieder beim Begriff Kreativität angelangt ;-)
Abgesehen von der Renaissance der Begriffe Innovation und Disruption hat der Entrepreneurial Turn ein Konzept eingeführt und zu seinem Dreh- und Angelpunkt erklärt, das bis zu diesem Zeitpunkt lediglich implizit existierte, seither aber aus dem Strategischen (und dem Innovations-) Management nicht mehr wegzudenken ist: Das Geschäftsmodell. Die durch die Digitalisierung einsetzende Verquickung von Produkten und Dienstleistungen führte dazu, dass neuartige Geschäftsmodelle entstanden (und immer weiter entstehen), die nicht mehr klar einer bestimmten Branche zugeordnet werden können. Liebl beschrieb diese Entwicklung 2001 eloquent als Übergang von “Defining the Business” zu “Designing the Business”.
Wie nicht anders zu erwarten, war das aber alles andere als einfach und natürlich auch noch nicht das Ende der Fahnenstange. Insbesondere erfolgreichen Unternehmen fiel und fällt es schwer, disruptive Innovationen oder radikale Strategien zu entwickeln, geschweige denn erfolgreich umzusetzen. Der Erfolg in der Vergangenheit ist hier nicht selten der Grund für den Misserfolg in der Zukunft. Startups sind in dieser Hinsicht deutlich im Vorteil; einerseits aufgrund des immanenten Fehlens einer erfolgreichen Firmenhistorie, andererseits wegen ihrer Learning-by-doing Kultur. Unter den Mantras “Always beta”, “Done is better than perfect” oder “Fail early” machen sie einen Sprint nach dem anderen und entwickeln, testen und iterieren ihr Geschäftsmodell und Produkt pausenlos.
Das Buch, das genau das alles beschreibt und in der Startup Szene einen fast schon biblischen Stellenwert hat, stammt von Ries (2011), heißt “Lean Startup” und veränderte irgendwie alles (Blank, 2013). Bereits ein paar Jahre vor Ries regte sein Namensvetter Beinhocker (2006) an, Strategie weniger als einen auf wackligen Prognosen beruhenden und zum Erfolg verdammten Plan, sondern vielmehr als Portfolio von Experimenten zu begreifen. Genauso wie neue Produkt- oder Geschäftsideen beruhen nämlich auch Strategien idealerweise auf Hypothesen, die es sukzessive zu prüfen, zu verwerfen oder zu bestätigen gilt. Jenner (2002) spricht in diesem Zusammenhang von marktlichem Experimentieren.
Dem Strategischen Management kommt im Kanon der betriebswirtschaftlichen Funktionen bekanntermassen und gelinde gesagt eine Primus-inter-pares Rolle zu. Diese Rangordnung vom Kopf auf die Füße zu stellen, drängt sich bei der beschriebenen Gemengelage jedoch regelrecht auf.
Wenn man die skizzierten Gedanken, dass Kreativität und Hypothesen die gemeinsame Grundlage von Strategie und Innovation sind, dass die Innovation der Geschäftstätigkeit Kern des Strategischen Management sein sollte, dass Test-Measure-Learn Zyklen nicht nur für Startups, sondern für jedes Unternehmen den Königsweg darstellen und dass Strategie eigentlich ein Portfolio von Experimenten ist, ernst nimmt und zu Ende denkt, kommt man zu keinem anderen Schluss, als dass Strategie Innovation ist und nicht umgekehrt.
Angesichts der beschriebenen Konvergenz von Strategie und Innovation ist eine scharfe Trennung der beiden Denkfiguren gar nicht mehr möglich. Es liegt vielmehr auf der Hand, Strategieentwicklung und -umsetzung als Teil oder vielmehr Ebene des Innovationsmanagements zu begreifen.
Innovation bedeutet wortwörtlich Erneuerung, umgangssprachlich Entwicklung und wirtschaftliche Umsetzung neuer Ideen. Dies kann auf Produktebene, Serviceebene, Prozessebene, Geschäftsmodellebene oder eben auch auf Strategieebene erfolgen. Richtig erfolgreich wird es selbstredend dann, wenn es durchgängig, unisono und gleichzeitig auf allen Ebenen passiert - Integrierte Innovation sozusagen.
Literatur
Brandenburger, A. (2019). Strategy needs creativity: An analytic framework alone won't reinvent your business. Harvard Business Review, 97(2), March-April 2019, 59-68.
Beinhocker, E. (2006). The origin of wealth: Evolution, complexity, and the radical remaking of economics. Boston: Harvard Business School Press.
Blank, S. (2013). Why the Lean Start-Up Changes Everything. Harvard Business Review, 91(2), May 2013, 63-72.
Fitzner, M., Blümelhuber, C., Düllo, T. (2025). Er rockt nicht, er rollt. Starke Signale an Franz Liebl. Berlin: Logos.
Jenner, T. (2002). Marktliches Experimentieren. WiSt, 31(5), 285–287.
Liebl, F. (2001). Vom “Defining the Business” zum “Designing the Business”: Auf dem Weg in eine Design Economy. form.diskurs, 8/9, 6–9.
Liebl, F., Düllo, T. (2015). Strategie als Kultivierung. Berlin: Logos.
Ries, E. (2011). The lean startup. New York: Penguin.
Schumpeter, J. (1912). Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Berlin: Duncker & Humblot.
Walter, S. (2019): Strategie Design – Ein ganzheitliches Strategieverständnis für das digitale Zeitalter, Wiesbaden: Springer Gabler.
Strategie ist oft eine Folienschlacht, wo niemand auch nur ansatzweise über die Umsetzung nachdenkt. Ich finde dein Artikel zeigt sehr gut auf, dass man die Strategie Hypothesen schnell validieren sollte, um Erkenntnisse zu gewinnen.