Als ich Kind war, sahen Autos anders aus. Also nicht anders als heute, das auch, sondern anders als andere Autos. Die Hersteller gaben sich Mühe, ihre Marke in ein unverwechselbares Design zu übersetzen: ikonische Linienführung, charakteristischer Kühlergrill, prägnante Details. Das gelang mal besser, mal schlechter, aber als Junge konnte ich bereits von weitem, mühelos und auch gegen den Wind einen Lancia von einem Volvo, einem BMW oder einem Renault unterscheiden.
Heute fällt mir das viel schwerer, was weniger an meiner schwindenden Sehkraft liegt, zumal ich beim Autofahren eine Brille trage, sondern am Primat der Aerodynamik. Nach der Ölkrise stiegen die Spritpreise, Sparsamkeit wurde zum Verkaufsargument und der cw-Wert zum Mass aller Dinge. Auch das Design der Autos, die nicht für die Rennstrecke gebaut wurden, musste fortan im Windkanal bestehen. So richtig begann alles 1982 mit dem Audi 100 und einem vorher für nicht möglich gehaltenen cw-Wert von 0,3.
In den darauf folgenden Dekaden hobelte der Windkanal so lange an den Formen, bis alle Autos gleich aussahen - rundgelutscht wie ein Ricola Kräuterbonbon. BMW hat dann zwar in den 00er Jahren die Kante wieder zurück ins Autodesign gebracht, aber wie das im Internet geklaute Bild zeigt, sehen auch heute noch viele Autos gleich aus. Kein Wunder, Sparsamkeit und Effizienz sind angesichts des Klimawandels ja auch nicht weniger wichtig geworden. Im Gegenteil.
Was mit den Autos geschah, passiert gerade im Internet: Es fühlt sich alles irgendwie gleich und glattgebügelt an. Gemäß dem Snap Culture Report sagen 64% der GenZ, dass sie im Netz immer wieder dasselbe lediglich auf anderen Plattformen sehen. Obwohl zwei Generationen älter, fühle ich genau so. Und es überrascht auch nicht, wenn man bedenkt, dass inzwischen über 50% des Internetverkehrs nicht mehr von Menschen, sondern von Bots gemacht und bereits im kommenden Jahr geschätzte 90% des Online Contents von KI generiert sein werden.
Wenn Zuck - also für mich eigentlich immer noch Herr Zuckerberg - seine Idee umsetzt und in Zukunft KI alle Werbekampagnen auf Meta alleine konzipiert, generiert und ausspielt, ist kein Ende dieser Entwicklung in Sicht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass KI einfach die Idee, die für eine Marke auf einem Markt gut funktioniert hat, auf eine andere Marke in einem anderen Markt mehr oder weniger unverändert übertragen wird. Noch mehr vom Gleichen also.
Das wirft nicht nur rechtliche Fragen auf, sondern manifestiert ganz grundsätzlich das Problem von Best-Practice im Marketing: Insbesondere bei den Themen Produktinnovation und Branding führt Copy-Paste nämlich selten zum erhofften Erfolg. Was es dagegen braucht, um aus dem Einheitsbrei herauszustechen, ist Kreativität, die Generierung neuer, überraschender und guter Ideen und Konzepte.
Künstliche Intelligenz und Automatisierung führen also gerade dazu, dass das Internet immer flacher wird – als käme es direkt aus dem Winkkanal. Das ist, wie bei den Autos, langweilig bis ärgerlich, birgt aber auch eine große Chance:
Während sich der Rest der Welt zurücklehnt und seine Aufgaben zombieähnlich an KI und Algorithmen delegiert, werden es kreative Denker sein, die Marken neu denken, neue Märkte entdecken, neue Produkte erfinden und Sprünge machen, die (noch) keine KI machen kann.
Wir müssen raus aus dem Windkanal. Nicht indem wir auf KI verzichten, sondern in dem wir KI als Muse, als Analystin, als Tool, als Assistenten nutzen, um unsere eigene menschliche Kreativität und Genialität zu verstärken.1 Nicht entweder oder, sondern Mensch und Maschine, Mathematik und Magie. Wir müssen die durch KI gewonnene Zeit nutzen, um uns mehr auszudenken und besser zu prompten.
Im Zeitalter künstlicher Intelligenz ist der letzte verbleibende Wettbewerbsvorteil vielleicht nicht mehr die Fähigkeit schneller zu lernen als die Konkurrenz, sondern menschliche Kreativität. Oder, um zurück zum Autodesign zu kommen: Wir brauchen wieder mehr Kante!
Zur Rolle künstlicher Intelligenz im Kreativprozess vgl. auch:
Schwab, Klaus / Walter, Simon (2019): Können Algorithmen auch Kampagnen? Mögliche Rollen Künstlicher Kreativität im Marketing, in: transfer – Zeitschrift für Kommunikation und Markenmanagement, 2/2019, p. 34-37 (transfer best paper award 2019)